In einem Bunker bei Königsberg

die Stadt war Ort einer Jahrzehntelangen Suche...


Die dritte Variante des Verbergens des Bernsteinzimmers in Ostpreußen geht davon aus, daß ein Abtransport nicht mehr möglich gewesen, es weiterhin in der Stadt verblieben und erst kurz vor der Erstürmung im Stadtgebiet versteckt worden sei.

Diese Annahme stützt sich vor allem auf Aussagen von Personen, die man gemeinhin als sachkundig bezeichnen würde, deren Glaubwürdigkeit aber sehr in Frage zu stellen ist.

Doch sprachen auch einige beweisintensive Indizien für die Berechtigung dieser dritten Variante.

Ein solches Indiz bildet die Tatsache, daß nach Angaben sowjetischer und deutscher Zeugen der Museumsdirektor Dr. Alfred Rohde Königsberg nicht verlassen hat. Er ist im Dezember 1945, 14 Tage vor seiner Ehefrau, dort verstorben. Ihr Sohn, Wolfgang Rohde, berichtete zehn Jahre nach dem Tode seiner Eltern, daß sein Vater gegen Ende des Krieges versichert habe, er fürchte die Russen nicht, denn er habe ein reines Gewissen und wolle ihnen Hinweise zu verschleppten Kunstschätzen geben.

Dr. Alfred Rohde sprach in diesem Zusammenhang zwar über geraubte Schätze aus Minsk und Kiew, nicht aber über das Bernsteinzimmer. Der Sohn Wolfgang mutmaßte, daß sich dieses noch in geheimen Kellerräumen des Schlosses in Königsberg befände. Er kenne seinen Vater so gut, daß er die Annahme für berechtigt halte, sein Vater hätte sich nicht vom Bernsteinzimmer getrennt. Eine solche Annahme hat zunächst viel für sich.

Mehrere der nach l945 befragten Personen, die sich in Königsberg aufgehalten hatten, gaben an, die Kisten mit dem Bernsteinzimmer hätten sich bis wenige Tage vor der Kapitulation Königsbergs in den Gewölben des "Blutgericht" im Schloß befunden. Besonderes Gewicht war den Aussagen des Leiters der Gaststätte Alfred Feierabend, beizumessen, der vorgab, genaue Kenntnis darüber zu haben, daß es sich bei den im "Blutgericht" eingelagerten Kisten um das Bernsteinzimmer gehandelt habe. Da er Zeuge gewesen sein will, als Koch im März 1945 persönlich feststellte, daß das Bernsteinzimmer noch immer im Blutgericht lagere, war seinen Angaben eine gewisse Glaubwürdigkeit zuzumessen.

Noch einen dritten Kronzeugen gibt es für die Annahme von dem Verstecken des Bernsteinzimmers in der Stadt Königsberg: den ehemaligen Nazi-Gauleiter und Reichskommissar Erich Koch. Er war wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen 1959 in Polen zum Tode verurteilt und später zu lebenslanger Haft begnadigt worden.

Während sich Koch bei seinen Vernehmungen durch die polnischen Untersuchungsorgane und das Oberste Gericht der Volksrepublik nicht an das Schicksal des Bernsteinzimmers zu erinnern vermochte, machte er l965 die Mitteilung, es wäre im April l945 in einem Bunker am Stadtrand versteckt worden. 1967 äußerte er sich erneut in dieser Richtung. Von ihm soll es auch ein Dokument vom 4. März 1945 geben, in dem er seinen Unwillen darüber zum Ausdruck bringt, daß das Bernsteinzimmer noch nicht evakuiert sei.

Eben aus dieser Zeit soll ein weiteres Schreiben Kochs existieren, das vom polnischen Schriftsteller Badowski ausführlich zitiert wird. Es ist offenbar an die Parteikanzlei oder Hitler direkt gerichtet und enthält Vorschläge, was mit den noch immer in Königsberg befindlichen wertvollen Kunstschätzen, darunter dem Bernsteinzimmer, Wertpapieren, Aktien, Devisen, sowie mit den Akten der Nazipartei und der Behörden geschehen solle. Koch schlägt vor, alles in vorbereiteten Bunkern unterzubringen. Wo sie sich befinden, sagt er nicht. Auf dieses Schreiben hin, so Badowski, sei ein gewisser SS-Obersturmbannführer "Ringel" (Gustav Wyst) mit persönlichen Weisungen Hitlers und Himmlers aus Berlin gekommen.

Nun machte uns nicht nur der Umstand stutzig, daß keiner der Autoren eine Quelle für die Dokumente angab, geschweige denn sie oder eine beglaubigte Kopie vorweisen konnte. Ebenso fragwürdig war auch der Vorschlag Kochs zu diesem Zeitpunkt, die Sachen in Bunkern einzulagern, wo doch ihr Abtransport über See noch immer möglich war. Schließlich hatte Koch auf seine persönliche Anforderung und auf Anweisung Hitlers noch im März 1945 dringend benötigte Munition mit Schnelltransportern der Kriegsmarine und mit Flugzeugen geliefert bekommen. Was hätte näher gelegen als die genannten Sachen per Rückfracht mitzugeben?

Wir bezweifeln deshalb die Existenz dieser Schreiben überhaupt, zumal wir beweisen können, daß Gustav Wyst nicht im Auftrag Hitlers und Himmlers mit entsprechenden Weisungen zu Koch geschickt worden ist.

Aber auch ohne solche angeblichen schriftlichen Dokumente Kochs gibt es ausreichende Gründe, die Version genauer zu untersuchen, wonach das Bernsteinzimmer in der Stadt Königsberg verborgen worden ist. Möglichkeiten hierzu gab es trotz der gewaltigen Zerstörung der Stadt doch in beträchtlichem Maße. Königsberg war seit seiner Gründung Zentrum der militärischen Beherrschung und Ausdehnung dieses Gebietes gewesen. Es war darum von seiner Entstehung an Burg.

Im 17. Jahrhundert war die Stadt mit Wall und Graben umgeben worden. An mehreren Stellen waren Bastionen errichtet. Der geringe Wert der alten Anlagen erwies sich, als 1757 die russische Armee Stadt und Festung eroberte und bis 1762 besetzt hielt. Auch Napoleons Armee hielt Königsberg 1807 nicht stand.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde um die weiter gewachsene Stadt eine Ringbefestigung mit gewaltigen Bastionen angelegt. Sie umschloß die Stadt in einer Länge von 11 Kilometern. Unmittelbar nach Fertigstellung dieses Festungsringes entstand weit außerhalb der Stadt in einem Radius von 8-10 Kilometern vom Stadtmittelpunkt ein Gürtel von Festungsanlagen. Der kreisförmig gelegene Gürtel bestand aus mehreren großen Festungswerken, nämlich der Festung Friedrichsburg und 15 Forts. Zwischen den Forts lagen massive kleinere Befestigungsanlagen. Jedes Fort hatte eine Hauptkaserne , die von Graben und Wall umgeben war.

Im Wall befanden sich Bastionen unter einer Erdschicht von 3-4 Metern. Kaserne und Bastionen waren aus doppelt gebrannten, also sehr harten, Ziegeln erbaut und hatten mehrere Etagen. In den 16 Festungswerken dieses Gürtels waren insgesamt 1242 Räume mit einer Fläche von 49585 Quadratmetern vorhanden. Außer diesen Anlagen waren in der Nazizeit noch weitere kleinere Bunker gebaut worden, die das Gesamtsystem komplettierten.

Um alle diese weiträumigen und bombensicheren Anlagen war es bereits im Februar 1944 im Hauptquartier Hitlers gegangen. Der Chef von Hitlers militärischem Führungsstab, Generaloberst Jodl, hatte in seinen Notizen damals vermerkt, daß auch die Festung Königsberg auf ihre Eignung für unterirdische Verlagerungen überprüft werden sollte.

Für das Verbergen des Bernsteinzimmers boten die Forts und Bastionen mit ihren zum Teil weitverzweigten unterirdischen Anlagen wahrhaft günstige Möglichkeiten. Das traf vor allem auf jene Teile zu, die aus dem 17. Jahrhundert stammten. Aus ihnen waren im Verlaufe der Zeit Grünanlagen geworden, und kaum ein Spaziergänger konnte vermuten, daß sich tief unter ihm alte Gewölbe befanden, deren Zugänge nur noch wenigen, darunter aber solchen Männern wie Alfred Rohde, bekannt waren. Als Rohde Ende der zwanziger Jahre von Hamburg nach Königsberg gekommen war, hatte seine erste größere Arbeit in einer gründlichen Erforschung der Stadtgeschichte und der kulturellen Entwicklung der Stadt bestanden. Bei dieser Gelegenheit hatte er mit Hilfe der archivarischen Quellen auch die alten unterirdischen Anlagen des Schlosses, der Kirchen, anderer alter Gebäude der Stadt sowie die mittelalterlichen und die aus dem 17. und 19. Jahrhundert stammenden umfangreichen Festungsanlagen genauer als jeder andere unter die Lupe genommen.

Angesichts des gewaltigen unterirdischen Raumvolumens in den Anlagen der Festungsringe von Königsberg erscheint es in höchstem Maße wahrscheinlich, daß Rohde sich in ihnen nach Möglichkeiten zur Einlagerung der ihm anvertrauten Kostbarkeiten umgesehen hat. Im Schloß, dem Zentrum der Festungsringe, hatte er dies bereits lange vor der kritischen Zeit getan, und schließlich war es ja seine tägliche Wirkungsst�tte.

Unter den Überresten des Schriftverkehrs von Dr. Rohde soll sich ein Bericht befunden haben, der im September 1944 an einen Geheimrat Dr. Zimmermann gerichtet war , worin es heißt: "Die Kunstsammlung sowie das, was Sie uns übergeben haben, also die Italiener, sind ebenso wie die beiden Miniaturen von Herzog Albrecht und Anna Sophie von Preußen sämtlich erhalten. Es lag alles im Schloßbunker. Wir haben den Schlüssel zur eisernen Tür verloren, so daß wir vorerst nicht in diesen Baum gelangen können." Rohde verfügte folglich über einen mit Kunstschätzen belegten Bunker.

Bei den von Rohde genannten "Italienern" und den Miniaturen hatte es sich um Leihgaben des Kaiser-Friedrich-Museums in Berlin gehandelt, die seit 1837 7 von der Königsberger Gemäldesammlung ausgestellt wurden.

Geheimrat Zimmermann war Direktor im Kaiser-Friedrich-Museum Berlin.  Nach den beiden verheerenden Luftangriffen berichtete Rohde ihm auch über das Schicksal der Leihgaben und nannte ihren genauen Verlagerungsort. Das waren das Schloß Wildenhoff, die untere Etage des Hauptturmes vom Schloß Königsberg sowie der sogenannte Schloßbunker.

Da das Königsberger Schloß nach Zeugenaussagen der letzte mit Sicherheit bekannte Standort des Bernsteinzimmers noch am 4. April 1945 gewesen war, hatte sich die Suche naturgemäß anfänglich dort konzentriert. Um die Jahreswende 1949/50 wurden im Torweg des Schlosses Bernsteinsplitter unter den Trümmern gefunden. Ein Zusammenhang zum Bernsteinzimmer aber ließ sich damals nicht nachweisen.

Inzwischen sind alle Keller, Gewölbe und Gänge des Schlosses freigelegt und sorgfältig auf Spuren nach dem Bernsteinzimmer und anderen Kunstschätzen durchforscht worden: ergebnislos. Erst danach gelang es, das Geheimnis des sogenannten Schloßbunkers zu lüften. In einem der von uns aufgefundenen Originalbriefe spricht Dr. Rohde von einem Bunker außerhalb des Schlosses. Es ist ein neuzeitiger Hochbunker mit Heizungs- und Entlüftungsanlage in dem meine größten Kostbarkeiten (Frans Hals. C. D. Friedrich etc. ) liegen." Auch die bereits genannte Mitarbeiterin des Schlosses, Frau Ida Krüger, bestätigte die Existenz dieses Bunkers außerhalb des Schlosses und nannte seinen Standort: den Botanischen Garten. Dorthin waren nach den Luftangriffen auch die Kisten mit dem Bernsteinzimmer gebracht worden. Dieser Tatsache war sie sieh ganz sicher, zumal sie noch etwa 1971 mit dem ehemaligen Schloßoberinspektor Henkensiefken gesprochen und der ihr die Richtigkeit dieser Erinnerung bestätigt hatte. Aber das waren Erkenntnisse, zu denen wir erst Ende der siebziger Jahre gelangten.

Zahlreiche Hinweise auf m�gliche Verbergungsorte gab es in der Vergangenheit zu den Bastionen in den Wallanlagen aus dem 19. Jahrhundert, die sich um die Innenstadt zogen. Hier waren es der "Wrangel-Turm", der "Dohna-Turm", die Bastionen "Litauen", "Friedland", "Sternwarte", "Pregel", "Haberberg" und andere. Auch ein Luftschutzbunker Nr. 123. der sich in der Straße Am Veilchenberg befunden haben soll, und ein Bunker in der Lovis-Corinth-Straße , in der Nähe mehrerer Parkanlagen und Friedhöfe, wurden genannt.

Professor Barsow, der von April bis Dezember 1945 mit Rohde zusammengearbeitet hatte, erinnerte sieh eines Hinweises von Rohde auf einen verschütteten Bunker 3, in dem sich Kunstschätze, jedoch keine Gemälde, befinden sollten. Im Jahre 1950 wurde versucht, diesen Bunker zu finden. Professor Barsow suchte lange auf dem ehemaligen Steindamm und in der Langen Reihe, zwei Straßen, die Rohde in Verbindung mit dem Bunker 3 genannt hatte, aber Barsow fand die Stelle nicht wieder. Nach der ersten Veröffentlichung der Zeitschrift "Freie Welt" über das Bernsteinzimmer im Jahre 1959 gaben dann einige Leser Hinweise zur genauen Lage des lange gesuchten Bunkers.

Doch ebenso wie in den Ruinen des Schlosses fand sich auch in den Bastionen und Bunkern der inneren Befestigungsanlagen der Stadt kein Hinweis auf das Bernsteinzimmer, obwohl die Suche jahrelang, mit zunehmend größerem Aufwand und besseren technischen Mitteln betrieben wurde.

Auch auf den Äußeren Festungsring mit seinen großen Forts gab es verschiedene Hinweise. Der ehemalige Königsberger Bildhauer Paul Kimritz will erfahren haben, das Bernsteinzimmer sei in den unterirdischen Gängen und Räumen des Forts Quednau eingemauert worden. Bei dem Fort handelte es sich um die im Norden des Festungsringes gelegene Anlage "Friedrich Wilhelm I" , das stärkste aller Königsberger Forts. Einen ähnlichen Hinweis gab Heinz Schreiber, der sich als Sanitäter in der Zeit März/April 1945 im Fort "Königin Luise", also im Westteil des Festungsringes, vor dem Ortsteil Juditten, befand. Er schrieb: "Es müßte so in den letzten Tagen des März 1945 gewesen sein, da kamen des Nachts - ich glaube sogar in mehreren Nächten - plötzlich Lkw einer unbekannten Einheit mit Mannschaften, die sich abschirmten, die dann von den Lkw Kisten abluden und im Innern des Forts einlagerten. Gemunkelt wurde von wichtigen .Papieren' , aber auch von .Schätzen'.' Da die Sachen nicht wieder abtransportiert wurden und das Fort wenig später von der Sowjetarmee gestürmt wurde, vermutete Herr Schreiber, die Sachen könnten im Fort eingemauert sein und sieh noch dort befinden.

In den bisherigen Veröffentlichungen über die Suche nach dem Bernsteinzimmer wird als Verbergungsort ein "Fort 11" genannt. Die Königsberger Forts des äußeren Festungsringes besaßen neben Namen tatsächlich Nummern, doch wurden dazu römische Zahlen verwendet. Die Nummer XI war das Fort "Dönhoff" und lag im Südosten des Festungsringes bei dem Ortsteil Seligenfeld. Ebenso konnte es sich bei der Ziffer arabisch 11 auch um eine römische II gehandelt haben, wenn der Ausgangspunkt dieser Information ein schlecht lesbares Schriftstück gewesen war. Dann aber würde es sich bei dem Fort um das im Nordosten gelegene "Bronsart" gehandelt haben, in dessen Nähe sich der Königsberger Flugplatz Devau befand.

Und noch einmal tauchte das Fort "Holstein" als möglicher Einlagerungsort für das Bernsteinzimmer und andere geraubte Kunstschätze auf. Ein Gehilfe des Kunsträubers Graf Solms, der Kunsthistoriker Oberleutnant Dr. Sponholz, hatte bei seiner Vernehmung durch die sowjetischen Untersuchungsorgane als einen der Verbergungsorte Holstein genannt, ohne weiteren Hinweis darauf, ob damit die Provinz gleichen Namens, das Fort "Holstein" oder das in seiner N�he gelegene Schloß Groß-Holstein gemeint war.

Schließlich hatte auch der ehemalige Nazigauleiter Koch mehrmals davon gesprochen, das Bernsteinzimmer sei nach seiner Erinnerung in einem Bunker am Stadtrand versteckt worden. Dabei war allerdings nicht zu klären, ob es sich um einen Bunker des inneren Verteidigungsgürtels handelte, der teilweise an der Peripherie der Stadt verlief, also auch als Stadtrand angesehen werden konnte.

Die Frage der Einlagerung des Bernsteinzimmers in einem Teil der Festungsanlagen hat von Anfang an bei der Suche eine große Rolle gespielt.

Natürlich haben Einheiten der Sowjetarmee nach der Einnahme Königsbergs alle unterirdischen militärischen Anlagen mehr als einmal nach möglichen Verstecken, Waffenlagern und auch verborgenen Sprengkammern abgesucht. Dies erschien besonders notwendig, hatte doch ein faschistischer Bandit am 30. Januar 1945 das Fort IV ("Dohna") in die Luft gesprengt, als die Besatzung bereits die weiße Fahne gehißt hatte. Auch die späteren Spezialtrupps der sowjetischen Regierungskommission für die Suche nach geraubten Kunst- und Kulturgütern haben sich dieser Befestigungsanlagen noch einmal besonders angenommen. Das Bernsteinzimmer aber blieb verschwunden.

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